Martin Lindner
Einleitung
Als ich Anfang 2019 als Zuständiger für Eulenschutz der AG Eulen auf das Thema Rodentizide angesprochen wurde, ahnte ich nicht, wie kompliziert das Thema ist. (Typisch ist, dass die drei Behörden Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und Umweltbundesamt (UBA), welche für die Zulassung von Rodentiziden zuständig sind, nicht einmal ihre Informationen abstimmen oder zumindest ihre Infos auf den Homepages mit denen der beiden anderen Behörden verlinken.) Der Unterschied von Biozid-Rodentiziden und Pflanzenschutz-Rodentiziden ist dem Laien erst einmal nicht klar. Dieser Artikel behandelt nur aktuell in Deutschland zugelassene Wirkstoffe.
Wirkstoffe von Rodentiziden
Rodentizide sind chemische Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren wie Feldmäuse, Hausmäuse und Wanderratten. Die Wirkstoffe werden außerhalb Europas auch gegen andere Arten wie Kaninchen oder Opossums eingesetzt. Es kommen dabei in Europa aktuell vor allem zwei Wirkstoffgruppen legal zum Einsatz. Dabei handelt es sich um antikoagulante Rodentizide (AR) und Mittel mit Phosphiden. Die verschiedenen Wirkstoffe werden unter verschiedenen Markennamen verkauft. Wichtig ist noch der Hinweis, dass z.B. eine bekannte Rodentizid-Marke wie Ratron mit verschiedenen Wirkstoffen verkauft wurde und wird.
Es wird in der EU zwischen Biozid-Rodentiziden und Pflanzenschutz-Rodentiziden (PSM) unterschieden. Biozid-Rodentizide werden zum Schutz der menschlichen und tierischen Gesundheit sowie von Menschen hergestellter Produkte eingesetzt. Sie dürfen in und an Gebäuden, in der Kanalisation, zum Schutz von Deichen, auf Mülldeponien, in Parks und auf Golfplätzen eingesetzt werden. Hier erstaunt insbesondere, warum der Einsatz von AR auf Golfplätzen erlaubt ist, da hier kaum mit Problemen für Gesundheit, Schutz und Hygiene von Menschen argumentiert werden kann. Pflanzenschutz-Rodentizide dürfen zum Pflanzenschutz im Vorratsbereich, auf Landwirtschaftsund Forstflächen eingesetzt werden. Als Biozid-Rodentizide werden legal fast nur AR-Wirkstoffe und als Pflanzenschutz-Rodentizid Zinkphosphid verwendet (Umweltbundesamt 2018, BVL Homepage).
Antikoagulante Rodentizide
AR sind Cumarinderivate, welche die Blutgerinnung verringern, die Blutgefäße durchlässig machen und durch innere Blutungen zu einem anhaltenden Siechtum führen. Das Siechtum endet mit Verbluten und Schock tödlich, typischerweise erst nach 3-7 Tagen (Umweltbundesamt 2018). Über die Wirkung subletaler Dosen (nicht tödliche Dosis), insbesondere auf Nichtzielarten wie Eulen, sind kaum Informationen erhältlich. Aus der typischen Wirkungsweise ergibt sich aber zwangsläufig, dass auch nichttödliche Dosen bei den betroffenen Tieren Krankheitssymptome (innere Blutungen und alle dadurch verursachten Organschäden) auslösen und möglicherweise zu langanhaltenden chronischen Erkrankungen führen können. Wie sich dies bei wildlebenden Tieren auswirkt, scheint bisher nicht untersucht worden zu sein. Die Wirkung des Giftes tritt erst nach ca. 6 Stunden nach dem Fressen ein, und das Wirkmaximum wird erst nach 36 bis 48 Stunden erreicht. Durch den verzögerten Eintritt der Wirkung zählen AR zu den wirksamsten Bekämpfungsmitteln gegen Nager. Da die Wirkung der AR auf Nager nicht unmittelbar nach der Aufnahme des Giftes eintritt, wird ein Lerneffekt bei den Nagern vermieden. Hierdurch entwickeln die Zielarten keine Köderscheu. Gleichzeitig führt die verzögerte Wirkung dazu, dass vergiftete Tiere den Wirkstoff über den Einsatzort hinaus verschleppen können, und dass das Gift in der Natur verbreitet wird (Umweltbundesamt 2018, Jacob et al. 2018).
Die Symptome einer Vergiftung mit AR können mit Vitamin-K-Behandlung bekämpft werden (Campbell & Chapman 2000). Allerdings ist die Halbwertszeit bzw. Persistenz (Beständigkeit gegenüber chemisch-physikalischem und biologischem Abbau) der AR, insbesondere der AR der zweiten Generation, die sich im Leberfett einlagern, sehr lang, bis zu mehreren Monaten. Die Wirkung des aufgenommenen Giftes wird durch die Behandlung mit Vitamin-K nicht verringert. D.h. eine Behandlung kann die Vergiftung nicht sofort beseitigen, nur die Symptome unterbinden (BVL Homepage).
Insbesondere der Wirkstoff Brodifacoum, welcher insbesondere zur Rattenbekämpfung an Viehhaltungen eingesetzt wird, hat eine hohe Persistenz. Brodifacoum bleibt lange Zeit unverändert durch physikalische, chemische oder biologische Prozesse in der Umwelt (Halbwertszeit: 20-130 Tage) (Wikipedia Artikel Brodifacoum). Einerseits ist die Persistenz als Stabilität oder Haltbarkeit bei der Anwendung erwünscht, andererseits ökologisch für die Umwelt problematisch. In Laborratten hatte Brodifacoum eine Halbwertszeit von 113,5 Tagen, beim Wirkstoff Warfarin waren es nur 26,2 Tage. Spuren von Brodifacoum können u.U. noch nach 24 Monaten nachgewiesen werden. Daher kommt es z.T. zur Bioakkumulation (Anreicherung einer Substanz in einem Organismus) von AR, da Beutegreifer die Wirkstoffe mit der Beute aufnehmen, aber Abbau und Ausscheidung nur sehr langsam erfolgen (Jacob et al. 2018).
Es werden AR der ersten und zweiten Generation unterschieden. AR der ersten Generation, Abkürzung FGAR, sind Warfarin, Chlorphacinon und Coumatetralyl. AR der zweiten Generation, Abkürzung SGAR, sind Brodifacoum, Bromadiolon, Difenacoum, Difethialon und Flocou- mafen. Die AR dürfen in der Regel nur bei Befall mit Nagern eingesetzt werden. Nur die Wirkstoffe Bromadiolon und Difenacoum dürfen unter gewissen Voraussetzungen zur befallsunabhängigen Dauerbeköderung verwendet werden (Umweltbundesamt 2018). Bei FGAR müssen Nager mehrfach Köder fressen um eine tödliche Dosis zu erhalten, während bei SGAR eine Einzeldosis reicht (National Pesticide Information Center Homepage).
Zur Wanderrattenbekämpfung sollten FGAR und weniger starke SGAR immer als erste Wahl angesehen werden (Berny et al. 2014). Es gibt bei Wanderratten im Nordwesten Deutschlands und bei Hausmäusen an verschiedenen Orten in Deutschland Resistenzen gegen die AR Warfarin, Chlorphacinon, Coumatetralyl, Bromadiolon und Difenacoum. Diese Resistenzen machen es notwendig, dass in den Resistenzgebieten die toxischeren AR Brodifaoum, Flocoumafen oder Difethialon für eine erfolgreiche Bekämpfung eingesetzt werden müssen. Da Hausmäuse häufig Resistenzen gegen FGAR aufweisen, werden SGAR als erste Wahl zur Bekämpfung von Hausmäusen genutzt (Homepage Julius Kühn-Institut, Berny et al. 2014).
AR sind heute die weltweit am häufigsten eingesetzten Rodentizide. Offenbar werden SGAR in Deutschland insbesondere in der industriellen Massen-Viehhaltung zur Bekämpfung von Schadnagern eingesetzt. Eine Schadnagerbekämpfung ist aktuell bei der Haltung von z. B. Schweinen sogar vorgeschrieben. Eine Studie des UBA fand einen Zusammenhang zwischen Regionen mit hoher Großviehdichte und der Häufigkeit von SGAR in Proben von Füchsen (Jacob et al. 2018). Als Risikominderungsmaßnahme dürfen AR nur in Köderboxen sowie in verdeckten Bereichen, zu denen Nicht-Zielarten keinen Zugang haben, ausgebracht werden. Daher ist eine Köderausbringung ohne Köderboxen auch in der Kanalisation, geschlossenen Kabeltrassen, Rohrleitungen, Hohlräumen in Wänden und Wandverkleidungen erlaubt. Auch die Ausbringung in Mäuse- und Rattenlöchern ist erlaubt (Umweltbundesamt 2018). Es gab in der Zeit vom 4. September 2007 bis zum 2. Januar 2008 wegen einer Mäusegradation die bundesweite Ausnahmegenehmigung als Notfallzulassung, das AR Chlorphacinon und Zinkphosphid flächig auf landwirtschaftlichen Flächen auszubringen. Es kam aber anscheinend nur lokal in NW, NI, SH und ST zur offenen Ausbringung von Giftködern. Dies dürfte u.a. auf die damals notwendige, zusätzliche Ausnahmegenehmigung durch die örtliche Untere Naturschutzbehörde zurückzuführen sein (Illner 2008). Die vorerst letzte Notfallzulassung zur flächigen Ausbringung erfolgte am 12. August 2015 (Lindeiner 2015). Über den Umfang der Anwendung in Deutschland 2007/2008 und 2015 liegen anscheinend keine deutschlandweiten Daten vor. Die AG Eulen forderte schon 2007 vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ein systematisches Monitoring der Auswirkungen von zugelassenen Rodentiziden auf Nichtzielarten, ferner ein Verbot der Anwendung in EU-Vogelschutzgebieten und ein Verbot einer flächigen Ausbringung (Illner 2008).
Anwender von SGAR müssen in Deutschland seit 2018 einen Sachkundenachweis mit Teilnahmezertifikat eines entsprechenden Kurses besitzen. In den Kursen muss Sachkunde nach Anhang I Nr.3 der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und Sachkunde nach Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung (PflSchSachkV) gelehrt werden. Wobei eine Freigabe und/oder Zertifizierung von Kursen zur Erlangung der Sachkunde durch die Behörden nicht notwendig ist. Es gibt zur Anwendung weitere Vorschriften wie die Risikominderungsmaßnahmen (Umweltbundesamt 2018). Früher wurden alle SGAR auch frei für Jedermann verkauft und legal angewendet. Diese neueren Auflagen sollen nicht nur unabsichtliche Vergiftungen von Menschen und Haustieren verhindern, sondern auch vermeiden, dass sich AR unkontrolliert in natürlichen Lebensgemeinschaften ausbreiten. FGAR können aber weiterhin auch ohne Sachkundenachweis angewendet werden (BAuA Homepage).
Gefährdete Organismen durch Einsatz von AR
Heute werden fast nur AR als Biozid-Rodentizid in Deutschland eingesetzt. AR wirken in unterschiedlichen, meistens geringen Dosen tödlich auf Säugetiere einschließlich des Menschen, auf Vögel, Fische und sonstige Wirbeltiere, aber auch z.B. auf Flohkrebse und sogar Algen (Mrasek 2019, Umweltbundesamt 2012). Auch bei vorschriftsgemäßem Einsatz von AR können Nicht-Zielarten, wie z.B. Spitzmäuse, vergiftet werden. Dies kann entweder über die direkte Köderaufnahme geschehen (primäre Vergiftung) oder über die Aufnahme belasteter Beute oder Aas (sekundäre Vergiftung). So können Beutegreifer wie Uhu, Schleiereule, Waldkauz, Turmfalke, Mäusebussard, Rotmilan oder Fuchs sekundär vergiftet werden (Jacob et al. 2018). Der Rückgang von Schleiereulen in Teilen Europas wurde schon vor Jahren mit dem Einsatz von SGAR in Verbindung gebracht (Newton et al. 1990). In jüngerer Zeit wurden wiederholt Todesfälle von Uhus auf sekundäre Vergiftungen zurückgeführt, obwohl leider keine Untersuchungen auf den Wirkstoff vorliegen. Da Steinkäuze häufig um und auch in landwirtschaftlichen Gebäuden leben bzw. brüten, dürften diese auch mit AR belastet sein. Aber es scheint keine Daten dazu zu geben. Es gibt keine umfassende Übersicht über das Ausmaß der Vergiftungen und die Umweltbelastung insgesamt durch AR. Es gibt aber eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, die Rückstände von AR in wildlebenden Nicht-Zieltieren und damit eine Gefährdung dieser Tiere sowohl in Europa als auch auf anderen Kontinenten dokumentieren. So wurden AR-Rückstände unter anderem in Schleiereulen (Newton et al. 1990 Großbritannien, Walker et al. 2013 Großbritannien, Saravanan & Kanakasabai 2004 Indien, Albert et al. 2010 Kanada, Christensen et al. 2012 Dänemark), Waldkäuzen (Walker et al. 2008 Großbritannien), Waldohreulen (Christensen et al. 2012 Dänemark), Virginia-Uhus (Albert et al. 2010 Kanada, Stansley et al. 2013 USA), Streifenkauz (Albert et al. 2010 Kanada), Kuckuckskäuzen (Lohr 2018 Australien), Turmfalken (Shore et al. 2006 Großbritannien, Christensen et al. 2012 Dänemark, Walker et al. 2013 Großbritannien), Mäusebussarden (Christensen et al. 2012 Dänemark, Berny et al. 1997 Frankreich, Walker et al. 2013 Großbritannien), Rotmilan (Christensen et al. 2012 Dänemark, Walker et al. 2013 Großbritannien) Steinadlern (Langford et al. 2012 Norwegen), Rotschwanzbussard (Stansley et al. 2013 USA), aber auch Iltissen (Shore et al. 1996 Großbritannien), Nerzen (Fournier- Chambrillon et al. 2004 Frankreich), Wieseln (McDonald et al. 1998 Großbritannien), Igeln (Dowding et al. 2010 Großbritannien) und Füchsen (Tosh et al. 2011 Großbritannien, McMillin et al. 2008 USA, Jacob et al. 2018 Deutschland) nachgewiesen. Neben räuberischen Säugern und Vögeln, die kontaminierte Mäuse oder Ratten fressen, sind aber auch samen- oder körnerfressende Vögel betroffen, die den häufig aus Getreide bestehenden Köder direkt fressen, sofern dieser offen ausgebracht wurde (Eason et al. 2002 Neuseeland).
Der Umfang der Untersuchungen, d. h. die Zahl der untersuchten Tiere sowie die Dauer und das räumliche Ausmaß der Untersuchungen, variiert von Nachweisen der AR in einigen Individuen einer bestimmten Region bis hin zu jahrelangen Untersuchungen ganzer Populationen in einzelnen Ländern. Der prozentuale Anteil der in diesen Studien untersuchten Tiere, die Rückstände von AR aufwiesen, schwankt dabei von 10 % bis zu 97 %. So haben Walker et al. (2008) in 20 % (33 von 172) der untersuchten Waldkäuze in Großbritannien Rückstände von mindestens einem AR- Wirkstoff festgestellt. In einer Studie aus Schottland wurden bei 70 % von insgesamt 114 untersuchten Rotmilanen Rückstände von AR nachgewiesen (Hughes et al. 2013). Bei Untersuchungen in Dänemark wiesen nahezu alle untersuchten Wiesel (124 von 130) Rückstände von AR auf (Elmeros et al. 2011). In einer spanischen Studie wurden bei 39 % (155) von 401 untersuchten Nicht-Zieltieren Rückstände von Antikoagulanzien nachgewiesen, wobei in 140 Fällen eine tödliche Wirkung dieser Stoffe nicht ausgeschlossen werden konnte (Sanchez-Barbudo et al. 2012). In Nordirland wurden bei 84 % aller untersuchten Füchse (insgesamt 115) Rückstände von Antikoagulanzien nachgewiesen (Tosh et al. 2011).
2018 kam eine vom Julius Kühn-Institut im Auftrag des UBA durchgeführte Studie zu AR-Rückständen von den acht antikoagulanten Rodentizide Brodifacoum, Bromadiolon, Chlorphacinon, Coumatetralyl, Difenacoum, Difethialon, Flocoumafen und Warfarin bei Nichtzielarten heraus (Jacob et al. 2018). Dies war die erste größere Studie zum Thema in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl in verschiedenen Kleinsäugerarten, wie zum Beispiel Wald- und Spitzmäusen, die nicht Ziel der Bekämpfung und teilweise besonders geschützte Arten sind, als auch in Eulen und Greifvögeln, hier vor allem Mäusebussarden, Rückstände von AR nachweisbar sind (Geduhn et al. 2016, Jacob et al. 2018). Auch wurden in 61 % von insgesamt 265 untersuchten Leberproben von geschossenen Füchsen aus verschiedenen Teilen Deutschlands Rückstände von Antikoagulanzien gefunden (Jacob et al. 2018). Die Rückstände von AR wurden hauptsächlich in der Leber bereits verstorbener Tiere analysiert. Darüber, ob die gemessenen Konzentrationen direkt tödlich bzw. todesursächlich waren, kann man oft keine konkrete Aussage treffen (Thomas et al. 2011). In 32% der 63 Eulen- und Greifvogelproben, meist Verkehrsopfer oder verhungerte Tiere, kamen AR-Rückstände vor. AR-Rückstände wurden vor allem in Mäusebussarden (39%, n=18), Rotmilanen (80%, n=5) und Schleiereulen (57%, n=7) nachgewiesen, also in Arten, die vorzugsweise Mäuse jagen. Arten, die häufig in der Umgebung von Gehöften jagen, wie dies bei Schleiereulen und Rotmilanen vorkommt (weniger bei Mäusebussarden), sind anscheinend stärker betroffen. Rückstände konnten in allen untersuchten Kleinsäugerarten nachgewiesen werden. Diese Kleinsäuger wurden an Viehhaltungen gefangen und fressen ebenso wie Ratten die Köder mit ARs. Apodemus-Arten wiesen häufig und z.T. hohe Rückstände auf (Jacob et al. 2018).
Erst 2018 wurden Rückstände von AR in Deutschland erstmalig in Fischen nachgewiesen (Kotthoff et al. 2018). Im Rahmen einer vom UBA in Auftrag gegebenen Untersuchung durch das Fraunhofer Institut für Molekulare Biologie und Angewandte Ökologie wurden Leberproben von Brassen (Abramis brama) aus den größten Flüssen in Deutschland - darunter Donau, Elbe und Rhein sowie aus zwei Seen untersucht. In allen Fischen der bundesweit 16 untersuchten Fließgewässer-Standorte im Jahr 2015 wurde mindestens ein SGAR nachgewiesen. Lediglich in Proben von Fischen aus den beiden Seen wurde keine Belastung festgestellt. In fast 90 % der 18 untersuchten Fischleberproben wurde Brodifacoum mit einem Höchstgehalt von 12,5 µg/kg Nassgewicht nachgewiesen. Difenacoum und Bromadiolon kamen in 44 bzw. 17 % der Proben vor. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass nicht nur auf dem Land lebende Tiere, sondern auch Wasserorganismen mit Rodentiziden belastet sind. Obwohl eine akute Gefährdung von Wasserorganismen durch Einträge von AR in Gewässer nicht anzunehmen ist, besteht insbesondere bei SGAR die Gefahr der Anreicherung über die aquatische Nahrungskette. Auf welchen Wegen AR in Gewässer gelangen, wird derzeit in einem vom UBA in Auftrag gegebenen Forschungsprojekt von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz untersucht. Eine mögliche Eintragsquelle stellt der Einsatz von antikoagulanten Rodentiziden zur Bekämpfung von Ratten in der Kanalisation dar (Kotthoff et al. 2018).
Allgemein liegen die festgestellten Konzentrationen in der Leber meist im µg/g (1 Mikrogramm (µg) = 1 Millionstel Gramm) bis ng/g (1 Nanogramm (ng) = 1 Milliardstel Gramm)- Bereich, wobei artspezifisch unterschiedliche Konzentrationen zum Tod führen können. Nachweislich durch Antikoagulanzien getötete Schleiereulen zum Beispiel wiesen Konzentrationen im einstelligen µg/g-Bereich auf (Newton et al. 1990). Es ist daher davon auszugehen, dass die nachgewiesenen Konzentrationen mitunter tödlich für die untersuchten Tiere gewesen sind. Abgesehen von tödlichen Effekten sind langfristige Auswirkungen auf das Verhalten und die Fortpflanzung der Tiere wegen des hohen Potentials von AR zur Anreicherung in Lebewesen anzunehmen. Aus den vorliegenden Studien kann man schlussfolgern, dass überall dort, wo AR als Rodentizide eingesetzt werden, davon auszugehen ist, dass auch Nicht-Zieltiere diese Gifte - sei es direkt oder indirekt - aufnehmen und es in diesen nachweisbar ist (Erickson & Urban 2004, Laasko et al. 2010). Denn das Risiko der Sekundärvergiftung von Wildtieren lässt sich nur minimieren, völlig vermeiden lässt es sich nicht.
Auch nach einem Verbot des Einsatzes von AR ist noch lange Zeit mit dem Auftreten von AR in der Umwelt zu rechnen. Wie wissenschaftlich nachgewiesen, sind mehrere Wirkstoffe unabhängig von aktuellen Einsatzkampagnen zur Schadnagerbekämpfung in der Umwelt bereits weit verbreitet.
Die Wirkung der SGAR ist mit langanhaltendem Siechtum und schweren Krankheitssymptomen verbunden. Die Wirkungsweise ist zweifellos nicht tierschutzgemäß, da die langsame Wirkung mit verzögerter Mortalität absichtlich angestrebt und das damit verbundene lange Leiden billigend in Kauf genommen wird. Selbst wenn die über die Nagerbeute aufgenommene Dosis von AR für Eulen und Greife nicht tödlich ist, kann es zu Sinnes- und Fitness-Störungen kommen, welche die Mortalität z.B. durch Anflüge an Stacheldrahtzäune usw. erhöht oder die Nahrungsversorgung von Bruten behindert.
Es findet aktuell in Deutschland kein richtiges Monitoring zur Belastung von Nichtzielarten mit AR statt. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien fanden verschiedene Kurzzeituntersuchungen statt. Das einzige Langzeitmonitoring zur Belastung einer Nichtzielart mit AR findet seit 1997 an der Schleiereule durch das UK Predatory Bird Monitoring Scheme in Großbritannien statt (Walker et al. 2013). 2014 hielt ein EU Report ein Monitoring bzw. Screening der EU-Mitgliedstaaten auf SGAR für notwendig. Dabei sollte neben Monitoring auf SGAR, die Beteiligung von SGAR an der Sterblichkeit von Wildtieren bei Verdacht auf Vergiftung und die wahrscheinlichen Auswirkungen der subletalen SGAR-Rückstandsmengen auf die Wildtierarten untersucht werden. Eine Zusammenstellung solcher Daten für die ganze EU sollte erfolgen (Berny et al. 2014).
Rodentizide mit Phosphiden
In Deutschland sind aktuell Rodentizide mit den Wirkstoffen Zinkphosphid, Aluminiumphosphid, Magnesiumphosphid und Calciumphosphid vom BVL als Pflanzenschutzmittel, also zum Einsatz auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen, zugelassen. Vor allem Zinkphosphid wird aktuell als Fraßgift in Ködern eingesetzt. Deshalb befassen sich die folgenden Ausführungen nur mit Zinkphosphid. Zinkphosphid ist ein schnell wirkendes Akutgift, das aktiv von den Zielorganismen gefressen werden muss. Nach der Köderaufnahme entsteht bei Kontakt von Zinkphosphid mit der Magensäure eine Zersetzung in giftigen Phosphorwasserstoff (Phosphin) und tötet die Nager. Phosphin ist ein farbloses, zytotoxisches Gas, das schwerer als Luft ist. Es ist ein starkes Stoffwechsel- und Nervengift und blockiert wichtige Enzymsysteme des Körpers. Über die zentrale Atemlähmung, Lungenödeme und Kollaps führt es zum Tod. Bei den anderen Phosphiden ist die Wirkung ähnlich (BVL Homepage).
Die Gefahr einer Anreicherung des Giftes bei Nichtzielarten (Bioakkumulation) wird von Behörden wie die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) als unwahrscheinlich angesehen. Vergiftete Zielnager sterben gewöhnlich in ihren Bauen. Studien zur Adsorption, zum Metabolismus und zur Ausscheidung von aufgenommenem Zinkphosphid bei Ratten zeigten, dass das entstandene Phosphin nach der Oxidation zu Hypophosphit oder Phosphat schnell und vollständig durch Ausatmen oder über den Urin ausgeschieden wurde. Diese Phosphin-Metaboliten sind weniger toxisch als Phosphin selbst. Eine subletale Dosis kann bei überlebenden Nagetieren eine Abneigung gegen Zinkphosphid-Köder hervorrufen (englisch sprachige Wikipedia Artikel Zinc phosphide). Der Geruch von Zinkphosphid zieht Nagetiere an, wirkt aber abstoßend auf andere Tiere; Vögel sind jedoch nicht geruchsempfindlich. Ein Risiko, dass Beutegreifer durch Aufnahme vergifteter Nager zu Schaden kommen, ist bei diesem Wirkstoff also laut ECHA nicht gegeben (ECHA Homepage).
Aus zurückliegenden Jahren gibt es vereinzelt Berichte über Vergiftungen bei Haus- oder Wildtieren, die fast alle nachweislich auf unsachgemäße oder gar vorsätzliche Ausbringung zurückzuführen waren. Bei einigen Fällen konnte kein abschließender Nachweis für Fehlanwendungen oder Frevel erbracht werden, der Verdacht liegt aber nahe. In keinem Fall konnte ein Vergiftungsfall bei sachgerechter Anwendung festgestellt werden (BVL Homepage).
Der Köder mit Zinkphosphid muss unter Verwendung einer handelsüblichen Legeflinte tief und unzugänglich für Vögel in die Nagetiergänge eingebracht oder mit in einer Köderstation ausgebracht werden. Es dürfen keine Köder an der Oberfläche zurückbleiben (BVL Homepage).
Zinkphosphide sind weit weniger umweltgefährlich als AR, werden aber nicht als Biozid-Rodentizid eingesetzt, weil Nager, insbesondere Wanderratten, eine Köderscheu entwickeln können und Zinkphosphid daher nicht so wirksam ist wie AR.
Beschränkungen bei Einsatz von Zinkphosphid
Das BVL hat Anwendungsbestimmungen zum Schutz von Nichtzielarten erlassen. Es wurde Ende 2018 die Anwendung in FFH- und Vogelschutzgebieten, auf Rastplätzen von Zugvögeln während des Vogelzuges und in Vorkommensgebieten des Feldhamsters sowie der Haselmaus, Birkenmaus und Bayerischen Kleinwühlmaus in bestimmten Zeiten verboten. Um Rastplätze von Zugvögeln während des Vogelzuges nicht zu gefährden, sollen Anwender Auskünfte zu aktuellen Rastplätzen von Zugvögeln bei der örtlich zuständigen Unteren Naturschutzbehörde einholen und die Auskunft der Behörde dokumentieren.
Die Bayerische Kleinwühlmaus ist in Deutschland verschollen. Die Birkenmaus, richtiger die Waldbirkenmaus, kommt nur sehr lokal im Bayerischen Wald, in den Allgäuer Alpen und in flachen bewaldeten Bereichen in Schleswig-Holstein vor. Die Anwendung ist vom 1. März bis 31. Oktober in Vorkommensgebieten der Birkenmaus verboten. Bei der Haselmaus liegt eine Verbreitung in ganz Deutschland vor, aber die Verbreitung ist oft nur lückenhaft oder regional begrenzt. Die Anwendung ist in aktuell nachgewiesenen Vorkommensgebieten nur in einem Umkreis von 25 m um Bäume, Gehölze oder Hecken zwischen dem 1. März und 31. Oktober verboten. Der Feldhamster ist heute in weiten Teilen Deutschlands vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben wie in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. In Nordrhein-Westfalen ist der Feldhamster ausgestorben und es gibt ein Programm zur Züchtung und Auswilderung (Angaben zur Verbreitung der Nager aus jeweiligen Wikipedia Artikeln, Schmidt mündlich). Die Anwendung in aktuell nachgewiesenen Vorkommensgebieten des Feldhamsters war zwischen 1. März und 31. Oktober verboten. Vor Anwendung muss zuvor durch die Lochtretmethode (mind. 20 wiedergeöffnete Löcher/250 m² nach 24 Stunden) die Bekämpfungswürdigkeit nachgewiesen werden. Die Köder müssen verdeckt in Nagerbauen und Köderstationen ausgebracht werden. Wobei im Vorkommensgebiet des Feldhamsters in Flächen mit Obstbaukulturen, in denen der Feldhamster nicht vorkommt, das Verbot nicht gilt (BVL Homepage).
Die Anwendung von Zinkphosphid mit Köderstationen, die mechanisch stabil, witterungsresistent und manipulationssicher sind, ist aber seit dem November 2019 wieder erlaubt in Vorkommensgebieten der oben genannten Mäusearten, Natura 2000 Gebieten und auf Rastplätzen von Zugvögeln während des Vogelzuges. Die Köderstationen sollen möglichst unzugänglich für Nichtnager ausgebracht werden. Die Öffnung der Köderstationen darf nicht größer als 6 cm im Durchmesser sein, damit der streng geschützte Feldhamster nicht an die Giftködern gelangt. Vor einer Anwendung in FFH- und Vogelschutzgebieten ist nachweislich sicherzustellen, dass die Erhaltungsziele oder der Schutzzweck maßgeblicher Bestandteile des Gebiets nicht erheblich beeinträchtigt werden (BVL Homepage). Der Einsatz von Mäuseköderlegemaschinen, wie der WUMAKI C 9, ist seit 2018 verboten. Der WU-MAKI C 9 legt, mit einem speziellen Pflugschar, einen künstlichen Mäusegang in einer Tiefe von 15 bis 25 cm an und legt darin Rodentizide ab (Schmidlin 2014). Früher wurden Köder auch einfach mit dem Miststreuer ausgebracht.
Die hier aufgeführten Regelungen des BVL zum Einsatz von Zinkphosphid sind Cross-Compliance-relevant. Cross-Compliance, übersetzbar als „Übergreifende Regeltreue“, wird im deutschsprachigen Raum auch als „anderweitige Verpflichtungen“ bezeichnet. Cross-Compliance-relevant bedeutet, dass bei Regelwidriger Anwendung EU-Agrarsubventionen gekürzt bzw. gestrichen werden können. Zur Kontrolle der Cross-Compliance- Regelungen werden in Deutschland jährlich mindestens 1% der Empfänger von EU-Agrarsubventionen bei Anlasskontrollen und bei Mitteilung von Verstößen durch Dritte, wie die Veterinär- oder Umweltbehörden, kontrolliert. Werden die festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt, kommt es je nach Schwere, Ausmaß, Dauer oder Häufigkeit des Verstoßes zur Kürzung von bis zu 100 Prozent der Beihilfezahlungen für ein oder mehrere Kalenderjahre. Dazu werden die Verstöße der unterschiedlichen Bereiche als leicht, mittel oder schwer gewichtet, als vorsätzlich oder fahrlässig bewertet und außerdem hängt die Sanktion davon ab, ob es ein erster oder wiederholter Verstoß war. Der Einsatz von Biozid-Rodentiziden scheint hingegen nicht Cross-Compliance-relevant zu sein (Wikipedia Artikel Cross-Compliance).
Wirkstoffe Choralose, Hydrogencyanid und Cholecalciferol
Neben den bisher behandelten Wirkstoffen sind noch die Wirkstoffe Choralose, Hydrogencyanid und Cholecalciferol zugelassen. Bei Chloralose handelt es sich um ein leistungsstarkes Narkosemittel, das innerhalb nur weniger Stunden wirksam wird. Es wirkt wie ein Schlafmittel und führt, verbunden mit Absenkung der Körpertemperatur, zu einer Verlangsamung aller Körperfunktionen und zu einer Unterkühlung. Die Nager erfrieren also. Dieses Erfrieren der Nager setzt eine Temperatur von unter 15°C vor raus. Eine einmalige Aufnahme ist ausreichend, damit die tödliche Dosis bei dem Nager erreicht wird (Wikipediaartikel Chloralose). Choralose wird von der BAuA als sehr giftig für Wasserorganismen eingestuft (BAuA Homepage). Prädatoren sind durch Sekundärvergiftungen anscheinend nicht gefährdet. Anders als bei den AR reichert sich Chloralose nur in geringen Mengen in der Leber an und wird vom Organismus sehr schnell wieder ausgeschieden. Halbwertzeit von Chloralose ist 24 Stunden. Vergiftungen von Haustieren kamen vor (Wikipediaartikel Chloralose).
Der Wirkstoff Hydrogencyanid, besser bekannt als Cyanwasserstoff oder Blausäure, ist ein zytotoxisches Gas und schwerer als Luft. Es ist ein starkes Stoffwechsel- und Nervengift und blockiert wichtige Enzymsysteme des Körpers. Über die zentrale Atemlähmung, Lungenödeme und Kollaps führt es zum Tod (Wikipediaartikel Cyanwasserstoff). Chloralose und Hydrogencyanid sind als Biozid-Rodentizid zugelassen (Umweltbundesamt Homepage).
Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat den Wirkstoff Cholecal- ciferol als Wirkstoff für Biozid-Rodentizide zugelassen (ECHA Homepage). Eine Zulassung eines Produkts mit Cholecalciferol in Deutschland liegt Anfang 2020 aber noch nicht vor. Cholecalciferol bewirkt eine akute oder chronische Vitamin-D-Überdosierung und führt über eine Vitamin- D-Hypervitaminose bei Nagern zum Tode. Cholecalciferol hat eine Halbwertszeit von 19-25 Stunden. Vergiftungen bei Hunden und Katzen kommen vor (Wikipediaartikel Cholecalciferol).
Die drei genannten Wirkstoffe werden in Ködern verabreicht, und die zwei zugelassenen Wirkstoffe Choralose und Hydrogencyanid werden anscheinend deutlich weniger genutzt als AR und Mittel mit Phosphiden.
Zulassung
Zulassungsbehörden sind für Biozid-Rodentizide die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und für Pflanzenschutz-Rodentizide das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Das Umweltbundesamt (UBA) ist für die Bewertung der Umweltauswirkung zuständig. Rodentizide, die eingesetzt werden, unterliegen in der EU einer Zulassungspflicht nach der Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (BVL-Homepage).
Rodentizide mit AR sind seit 2018 nicht mehr als Pflanzenschutzmittel zugelassen, sondern nur noch als Biozid-Rodentizide und dürfen daher nicht mehr auf Landwirtschaftlichen- und Forstflächen eingesetzt werden. Als Pflanzenschutz-Rodentizide sind seit 2018 nur noch Zinkphosphid, Aluminiumphosphid (auch als Biozid-Rodentizid), Magnesiumphosphid und Calciumphosphid zugelassen.
Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das BVL kurzfristig das Inverkehrbringen eines eigentlich verbotenen Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage per Notfallzulassung zulassen. Rechtsgrundlage ist Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (Umweltbundesamt 2018, BVL-Homepage). So gab zuletzt eine Notfallzulassung vom 1. September 2015 bis 29. Dezember 2015 für Mittel mit den damals verbotenen Wirkstoffen Chlorphacinon (ein AR) und Zinkphosphid (damals keine Zulassung als Pflanzenschutz-Rodentizid) zum Pflanzenschutz zur Bekämpfung von Feld- und Erdmaus. Die Anwendung von Chlorphacinon wurde zugelassen zur Bekämpfung von Feld- und Erdmaus als Streuanwendung, also offenes Ausstreuen, bei Starkbefall auf landwirtschaftlichen Flächen. Der Starkbefall musste durch die Lochtretmethode (mind. 20 wiedergeöffnete Löcher/250 m2 nach 24 Stunden) nachgewiesen werden. Es musste eine Anordnung des zuständigen Pflanzenschutzdienstes vorliegen und es gab weitere Anwendungsbestimmungen und Auflagen. Der Pflanzenschutzdienst sollte sich im Hinblick auf den Schutz von auf oder an den zu behandelnden Flächen vorkommenden besonders geschützten und streng geschützten Wirbeltierarten nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 Bundesnaturschutzgesetz i.V.m. § 1 Bundesartenschutzverordnung mit der zuständigen Naturschutzbehörde abstimmen. Die zugelassene Menge wurde 2015 bei Chlorphacinon auf 700 Tonnen begrenzt. Bei Zinkphosphid wurde die Menge auf 16 Tonnen begrenzt. Hier war eine verdeckte Ausbringung vorgeschrieben. Die Zinkphosphid-Köder sollten im Nichtkulturland angewendet werden, welches an Kulturflächen angrenzt. Als Nichtkulturland wurden Ackerrandstreifen, Straßenränder, Böschungen, Straßengräben; Rückzugsgebiete in Kulturflächen, z.B. Inseln von Windenergieanlagen aufgelistet. Damit sollte das Einwandern von Mäusen in die Neusaaten eingedämmt werden. Die Anwendung war an weitere Anwendungsbestimmungen und Auflagen geknüpft (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft Homepage). Es scheint unbekannt zu sein, wie viel von den genehmigten Mengen tatsächlich eingesetzt wurde.
Für Pflanzenschutz-Rodentizide, deren Zulassung im Jahr 2018 bzw. Anfang 2019 abgelaufen ist, bestand eine Abverkaufsfrist von 6 Monaten und eine Aufbrauchfrist von 12 Monaten (BVL Homepage).
Trotz der geschilderten Umweltgefährlichkeit der AR erfolgte 2018 eine erneute Zulassung von AR bis 30. Juni 2024. Das Umweltbundesamt schreibt dazu „Es fehlen gleichermaßen wirksame und weniger gefährliche Alternativen zu den Antikoagulanzien.“ (Umweltbundesamt 2018). Laut EU Report 2014 kann der Nagerfang mit Fallen wirksam sein, ist aber zeitaufwändig (Berny et al. 2014). Allerdings wurden Auflagen für AR erlassen, da es aufgrund seiner Umweltschädlichkeit und Gefährlichkeit eigentlich nicht genehmigungsfähig ist („Aufgrund der bei der Bewertung im EU-Wirkstoff-Verfahren ermittelten hohen unannehmbaren Risiken für Nicht-Zielorganismen und die Umwelt hätten Antikoagulanzien der 2. Generation eigentlich keine Chance, in den Anhang I der Biozid-Richtlinie aufgenommen zu werden.“ (Umweltbundesamt 2012). Die entsprechende Ausnahmegenehmigung der EU enthält folgende Aussagen am Beispiel von Brodifacoum, dem gefährlichsten AR (EU 2017) „ … erfüllt Brodifacoum die Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 … für die Einstufung als reproduktionstoxischer Stoff der Kategorie 1A1. Der Stoff erfüllt ebenfalls die Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 … für die Einstufung als sehr persistenter, bioakkumulierbarer und toxischer Stoff. Damit treffen auf Brodifacoum die Ausschlusskriterien gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben c und e der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 zu.“2 Ferner „Die Verwendung von Brodifacoum … wirft ferner Bedenken im Hinblick auf Fälle von Primär- und Sekundärvergiftung auf, …, sodass Brodifacoum auch die Kriterien für die Einstufung als zu ersetzender Wirkstoff gemäß Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 erfüllt.“ 3 (EU 2017): „Gemäß Artikel 12 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 darf die Genehmigung für Wirkstoffe, auf die die Ausschlusskriterien zutreffen, nur dann erneuert werden, wenn mindestens eine der Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung weiterhin erfüllt wird, … „ Dann folgt die unglaubliche Rechtfertigung für die trotz massivster Bedenken erteilte Zulassung: „Nichtchemische Bekämpfungs- oder Präventionsmethoden … sind möglicherweise nicht ausreichend wirksam und können … Fragen … aufwerfen, … ob den Nagern damit unnötiges Leiden zugefügt wird. Alternative Wirkstoffe, …, sind möglicherweise nicht für alle Kategorien von Verwendern geeignet oder nicht gegen alle Arten von Nagetieren wirksam. Da eine wirksame Nagetierbekämpfung nicht allein auf diese nichtchemischen Bekämpfungs- oder Präventionsmethoden gestützt werden kann, gilt der Einsatz von Brodifacoum als unerlässlich im Hinblick darauf, unterstützend zum Einsatz der genannten Alternativen eine geeignete Nagetierbekämpfung zu gewährleisten. Folglich dient der Einsatz von Brodifacoum dazu, einer durch Nagetiere bedingten ernsthaften Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier vorzubeugen bzw. diese zu beseitigen.“ Dazu ist anzumerken:
1. Aus der Tatsache, dass Alternativen möglicherweise nicht in derselben Weise wirksam sind wie Brodifacoum wird gefolgert, dass Brodifacoum deswegen unerlässlich sei. D.h., es gibt durchaus einsatzfähige Alternativen, die vielleicht bei bestimmten Einsatzbedingungen nicht ganz so effektiv sind. Eine schlüssige Rechtfertigung für die Zulassung eines der gefährlichsten Giftstoffe überhaupt ist das aber auf keinen Fall.
2. Der Einsatz von Alternativen, wie z.B. klassischen Totschlagfallen, wirft angeblich die Frage auf, ob damit nicht „unnötiges Leiden zugefügt“ wird - und das im Vergleich zu Brodifacoum, dass bei den vergifteten Tieren zu einem tagelangen grausamen Siechtum bis zum Ausbluten und völliger Dehydrierung führt? Eine unglaublich zynische Aussage.
Die EU stuft Brodifacoum als „persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen“ Stoff ein. Brodifacoum wird zudem auch noch als „reproduktionstoxisch“ eingestuft (EU 2017).
Die Begründung für die Ausnahmezulassung für Brodifacoum kann damit insgesamt als unzutreffend und irreführend bezeichnet werden. Das bedeutet, es gibt objektiv keine Rechtfertigung für die weitere Zulassung von Brodifacoum nach EU-Recht. In Deutschland sind Brodifacoum und andere AR ebenfalls nur per Ausnahmeregelung bis 30. Juni 2024 zugelassen. Wegen der Gefährlichkeit der AR erfolgt eine Genehmigung zur Anwendung durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin immer nur für einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren.
Die Schweiz hat z.B. den Einsatz des besonders umweltproblematischen Brodifacoum seit 2012 verboten, ohne dass dort eine Rattenplage bekannt geworden wäre. Im biologischen Anbau von Verbänden wie Bioland sind nur Lebend- bzw. Schlagfallen für Nager zulässig. Trotzdem kommt es dort nicht zu Rattenplagen. In den USA sind SGAR seit 2015 verboten (Homepage Raptorsarethesolution).
Fazit
Seit 2018 hat sich die Situation in Europa deutlich verbessert, da die für die Umwelt sehr gefährlichen AR seitdem nur noch in und an Gebäuden, in der Kanalisation, zum Schutz von Deichen, auf Mülldeponien, in Parks und auf Golfplätzen eingesetzt werden dürfen. Notfallzulassungen bleiben jedoch möglich. Eine flächige, offene Ausstreuung auf landwirtschaftlichen Flächen ist seit längerem verboten. Diese erfolgte früher teilweise sogar mit Maschinen. Eine verstärkte Forschung und ein systematisches Monitoring der Auswirkungen von AR auf Nicht-Zielarten sind dringend notwendig. Totfunde von Eulen und Greifvögeln, zumindest bei Nagerjägern, müssten bei unklarer Todesursache auf AR untersucht werden. Es ist zu fordern, umgehend mit einem bundesweiten oder besser EU-weiten Monitoring zu beginnen und die Ergebnisse zeitnah zu veröffentlichen. 2024 laufen die Zulassungen für AR bzw. SGAR in Europa aus. Da sich inzwischen gezeigt hat, dass die Auswirkungen auf die Umwelt umfassender sind als bei der früheren Zulassung bekannt war, entfällt die Basis für eine weitere „Ausnahmegenehmigung“. Ebenso stehen die Wirkstoffe nun seit vielen Jahren auf der EU-Liste der „zu ersetzenden“ Biozide, so dass mehr als ausreichend Zeit für die Entwicklung und Organisation von Ersatz für die Schadnagerbekämpfung gegeben war.
Bisher existieren aber keine Alternativen in Form anderer Rodentizide und Nagerfallen, die gleich wirksam wie AR sind. Die Forderung kann trotzdem nur lauten, EU-weit die AR-Wirkstoffe so schnell wie möglich zu ersetzen. Dazu muss die Entwicklung neuer Rodentizide, die sowohl gleich wirksam als auch weniger giftig als AR sind, unbedingt vorangetrieben bzw. gefördert werden (Berny et al. 2014). Es sollte unbedingt mehr Information über den ordnungsgemäßen Einsatz von Rodentiziden oder andere Maßnahmen wie Nagetierschutz, Entfernung von Nahrung und Unterschlupf, zu Risiko für Nicht-Zielarten und Maßnahmen zur Risikominderung, Resistenzen in den Verkaufsstellen geben. Auf einer staatlichen Homepage müssten Infos zu allen Fragen zur Nagerbekämpfung bereitstehen. Also sowohl für Biozid-Rodentizide und Pflanzenschutz-Rodentizide (Berny et al. 2014).
Zusammenfassung
Es wird in der EU zwischen Biozid- Rodentiziden und Pflanzenschutz- Rodentiziden zur Bekämpfung von Mäusen und Ratten unterschieden. Biozid-Rodentizide werden zum Schutz der menschlichen und tierischen Gesundheit sowie von Menschen hergestellter Produkte eingesetzt. Sie dürfen in und an Gebäuden, in der Kanalisation, zum Schutz von Deichen, auf Mülldeponien, in Parks und auf Golfplätzen eingesetzt werden. Pflanzenschutz-Rodentizide dürfen zum Vorratsschutz und Pflanzenschutz auf Landwirtschaftlichen- und Forstflächen eingesetzt werden. Als Biozid-Rodentizide werden legal vor allem acht Antikoagulante Wirkstoffe und als Pflanzenschutz-Rodentizid vor allem Zinkphosphid verwendet. Zinkphosphid ist für die Umwelt weit weniger problematisch. Antikoagulante Rodentizide (AR) sind Cumarinderivate, welche die Blutgerinnung verringern, die Blutgefäße durchlässig machen und durch innere Blutungen zu einem anhaltenden, mehrtägigen Siechtum führen. Wegen des verzögerten Eintritts der Wirkung sind AR sehr wirksam und es tritt keine Köderscheu bei Wanderratten ein, wie es bei Zinkphosphid und anderen Rodentiziden der Fall ist. Wegen ihrer Persistenz reichern sich mehrere AR in der Umwelt an. In zahlreichen Nichtzielarten bis zu Fischen und Algen wurden Rückstände von AR nachgewiesen. Insbesondere sind Prädatoren betroffen, welche Nager jagen. Auch Schleiereule, Waldkauz, Turmfalke, Rotmilan und Mäusebussard sind betroffen. In Großbritannien wurden Todesfälle von Schleiereulen durch AR nachgewiesen. Aus Gründen von Tier-, Natur- und Umweltschutz sollte es 2024 nicht zu einer Verlängerung der Ausnahmegenehmigung für AR kommen. Zumindest muss ein systematisches Monitoring der Auswirkungen von AR auf NichtZielarten EU-weit durchgeführt werden. Totfunde von Nagerprädatoren müssen bei unklarer Todesursache auf AR untersucht werden.
Summary
Lindner M 2020: Facts on the use of rodenticides in Germany. Eulen-Rundblick 70: 45-53
In the EU, a distinction is made between biocide rodenticides and plant protection rodenticides to control mice and rats. Biocide rodenticides are used to protect the health of humans and animals and to protect man-made products. They may be used in and on buildings, in the sewage system, for protecting dikes, on landfills, in parks and on golf courses. Plant protection rodenticides may be used for the protection of stored products and for the protection of plants in agricultural and forest areas. Eight anticoagulants are legally used as the biocide rodenticides and zinc phosphide is used as the crop protection rodenticide. Zinc phosphide is far less problematic for the environment. Anticoagulant rodenticides (AR) are coumarin derivatives that reduce blood clotting, make blood vessels permeable and cause a lingering decline over several days to eventual death from internal bleeding. Because of the delayed onset of the poisoning symptoms, ARs are very effective, as Brown Rats do not become suspicious of the bait, like they do with zinc phosphide and other rodenticides. Because of their persistence, several ARs accumulate in the environment. AR residues have been detected in numerous non-target species, including fish and algae. Species that prey on rodents are particularly affected. These include Barn Owl, Tawny Owl, Kestrel, Red Kite and Common Buzzard. In Great Britain, Barn Owl deaths from AR have been proven. For reasons of animal, nature and environmental protection, the special case approval for AR should not be extended in 2024. At the very least, it is necessary to systematically monitor the effects of AR on non-target species across the EU. Rodent predators found dead must be examined for AR poisoning if the cause of death is unclear.
Danksagung
Die Arbeit kam mit sachdienlichen Hinweisen von Dr. Alexandra Esther vom Julius Kühn-Institut in Münster, Dr. Peter Petermann und Dr. Alexander Badry vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin zu Stande. Der Autor bittet, ihm ergänzende Fakten und Infos zukommen zu lassen.
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Martin Lindner
Parkstr. 21
D-59846 Sundern
Nachtrag
Nach Fertigstellung des Artikels wurde ein erster nachweislich durch AR Brodifacoum verursachter Todesfall eines Uhus dokumentiert: Schwarz V 2019: Der Uhu (Bubo Bubo) in Ungarn. Eulen-Rundblick 69: 9-17
Der Artikel stammt aus Eulenrundblick 70
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