Besprechung neuerer Arbeiten
von Hubertus Illner
Nach Aussage des Umweltbundesamtes zählt anthropogener Lärm, vor allem Verkehrslärm, zu den größten Umwelt- und Gesundheitsproblemen des Menschen. Erst im letzten Jahrzehnt wurde die Forschung zu den Auswirkungen menschlicher Lärmquellen auf Tiere weltweit intensiviert. Die aktuelle Übersichtsarbeit von Francis & Barber1) zeigt anhand neuer Forschungsergebnisse, auf welch vielfältige, teilweise in bisher ungeahnter Weise anthropogener Lärm auf Tiere einzuwirken vermag, meist zu deren Nachteil. Zu den möglichen direkten und indirekten oder versteckten Effekten zählen die Verminderung von Bestandsdichten, die Veränderung der Populationsstruktur (z.B. Ansiedlung von weniger fitten Individuen), Veränderung der räumlichen und zeitlichen Aktivitätsmuster und der Räuber-Beute-Beziehungen, Verminderung der Effizienz der Nahrungssuche, Störung der akustischen Kommunikation sowie der Beute- oder Feindwahrnehmung, Veränderungen der Fähigkeit zur Partneranlockung und Revierabwehr sowie physiologischer Stress, die einzeln oder im Zusammenwirken zu verminderten Verpaarungserfolg, Bruterfolg oder Überlebensrate einzelner Individuen führen können, was wiederum kumulativ betrachtet negative Auswirkungen auf Populationen von Arten oder Artengemeinschaft haben kann. Die Autoren machen deutlich, dass die oft geäußerte Interpretation einer unveränderten Besiedlungsrate unter Lärmeinwirkung als Gewöhnungseffekt dann zu kurz greift, wenn mögliche Fitnesskosten, die vor allem durch dauerhaften anthropogenen Lärm hervorgerufen werden können, nicht in Betracht gezogen und untersucht werden.
Die Untersuchung von Hayward et al.2) weist einen Weg, wie man den zum Teil subtilen Mechanismen der Lärmwirkung auf die Spur kommen kann. Experimentell untersuchten sie in alten Mischwäldern Nordkaliforniens die Auswirkungen des Lärms von Cross-Motorrädern, die Forstwege in Abständen von 5 bis 800 m zu Brutplätzen des Fleckenkauzes eine Stunde lang befuhren. Eine Vergleichsgruppe von Brutpaaren wurde diesem einstündigen Lärm nicht ausgesetzt. Die am Tag nach dem Versuch aufgesammelten frischen Kotproben wurden auf Zwischenprodukte eines Stresshormons (Glucocorticoid) in beiden Versuchsgruppen untersucht. Männchen zeigten im Mai die am stärksten durch die Lärmexposition ausgelöste signifikante Erhöhung des Stresshormons. Mai ist der Zeitraum, wenn die Männchen typischerweise sich selbst, die Partner und Jungvögel mit Nahrung versorgen. Weiterhin wurde festgestellt, dass Männchen, die weniger als 50 m von Straßen mit dauerhaftem allgemeinem Verkehrslärm brüteten, durchgehend hohe Werte des Stresshormons aufwiesen. Männchen, die 50 bis 800 m von lauten Straßen entfernt brüteten, zeigten eine geringere Erhöhung des Stresshormons nach einer einstündigen Lärmexposition von Cross-Motorrädern, als solche, die 50 bis 800 m von ruhigen Straßen entfernt waren. Unabhängig davon, ob dies als Gewöhnung zu werten ist, zeigt sich, dass der Bruterfolg (ausgeflogene Jungvögel pro Brutpaar) an lauten Straßen entfernungsabhängig ist: Bruten in Entfernungen von weniger als 100 m zu lauten Straßen hatten einen deutlich niedrigen Bruterfolg als weiter entfernte. An leisen Straßen hatten die straßennahen Bruten dagegen einen höheren Bruterfolg als weiter entfernte, was auf ein erhöhtes Nahrungsangebot (Randlinieneffekt) an Straßen zurückgeführt wird.
In einer weiteren experimentellen Studie3) wurde erstmals nachgewiesen, dass die Siedlungsdichte von rastenden Zugvögeln durch künstlich erzeugten Verkehrslärm in einer Naturlandschaft ohne Straßen signifikant reduziert wurde. Im Südwesten von Idaho wurde an einem Bergkamm mit Nadelbäumen und Schlehengebüsch ein Transekt von 0,5 km Länge phasenweise mit Verkehrslärm aus Lautsprechern beschallt, die in Abständen von 30 m aufgestellt worden waren. Der Verkehrslärm war vorher an 12 Autos im Glacier National Park aufgenommen, vervielfältigt und auf eine Lautstärke von 55-60 db(A) eingestellt worden, bei dem in früheren Studien eine Abnahme der Siedlungsdichte von Vögeln an Straßen festgestellt worden war. Es wechselten vom 19. August bis zum 9. Oktober an der „Phantomstraße“ jeweils vier Tagesphasen mit bzw. ohne Verkehrslärm ab. Gleichzeitig wurden standardisierte Punktstopp-Zählungen (50 m-Entfernungsradius) aller stationären Vögel an jeweils drei Zählpunkten an der Phantomstraße und in einem einige Hundert Meter entfernten Referenzgebiet im gleichen Habitat durchgeführt, wo der natürliche Hintergrund-Geräuschpegel nur 41 db(A) betrug. Wenn die Erfassung in der verkehrsbeschallten Periode durchgeführt wurde, wurden die Lautsprecher in Nähe des jeweiligen Zählpunktes ausgeschaltet, um die akustische Erfassungseffektivität der beiden Beobachter nicht zu beeinträchtigen. Es zeigte sich, dass die Siedlungsdichte insgesamt durch den experimentellen Verkehrslärm um rund ein Viertel reduziert war. Von den 22 näher untersuchten Arten zeigten 13 eine signifikante Bestandsabnahme mit der Zunahme des simulierten Straßenlärmpegels, acht Arten zeigten sich indifferent und nur eine Art zeigte einen positiven Effekt des Verkehrslärms. Mit diesem Experiment wurde erstmals bewiesen, dass Verkehrslärm unabhängig von optischen, olfaktorischen Effekten oder Kollisionsmortalität die Siedlungsdichte von Vögeln vermindern kann. In diesem Fall handelte es sich um rastende Zugvögel, die wenig akustisch kommunizieren. Von daher ist der Wirkmechanismus wahrscheinlich ein anderer als die lärmbedingte Maskierung der innerartlichen akustischen Kommunikation, der wahrscheinlich in der Brutzeit eine größere negative Rolle zukommt. Diskutiert wird von den Autoren der Aspekt, dass der Verkehrslärm die Feindwahrnehmung beeinträchtigen und das Wachsamkeitsverhalten auf Kosten der Nahrungsaufnahme erhöhen könnte. Sollten die Ergebnisse sich in weiteren Experimenten bestätigen, sehen die Autoren im anthropogenen Lärm ein erhebliches Naturschutz-Problem, denn 83% der Landfläche der USA liegt weniger als 1 km von der nächsten Straße entfernt. Für eine gefährdete Zwergsängerart, die nach ihren Befunden das ansonsten günstige Rasthabitat unter simulierten Verkehrslärm komplett mied, könnte deshalb der Rastlebensraum schon jetzt erheblich durch Verkehrslärm eingeschränkt sein.