Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


ag_eulen:tagungen:2007_groningen

World Owl Conference 2007 – 23. Jahrestagung der AG Eulen

31. Oktober – 4. November 2007 in Groningen/Holland

von Wolfgang Scherzinger

In Nachfolge zum ersten internationalen „Symposium zu Biologie und Schutz der Eulen nördlicher Waldgebiete“ in Winnipeg, Manitoba / Kanada 1987, und dem zweiten internationalen „Symposium zu Biologie und Schutz der Eulen der nördlichen Hemisphäre“ 1997 ebenda, wurde 2007 - in jeweils 10-jährigem Intervall - das dritte internationale Treffen in Groningen / Holland als „Welt-Eulen-Konferenz“ (WOC) thematisch deutlich breiter gefasst. Mit Referenten aus 30 Ländern war die Veranstaltung wirklich international besetzt, wobei auch subtropische und tropische Länder, wie Indien, Thailand, China und Malaysia sowie Brasilien einbezogen waren. Im Gegensatz zu früheren Kongressen, die von Vorträgen aus den USA, Kanada und Skandinavien deutlich dominiert waren, erlaubte der Tagungsort in Holland neben den Europäern auch den Eulenfachleuten aus Osteuropa und Russland die Teilnahme. Die weiteste - und offenbar auch komplizierteste - Anreise nahm jedenfalls die Schnee-Eulen-Expertin DR. IRINA E. MENYUSHINA von der Wrangel-Insel im äußersten Nordosten Sibiriens auf sich.

Die örtliche Organisation lag bei den Kollegen aus Holland, allen voran JOHAN de JONG (Universität Groningen), die Programmgestaltung bei DR. DAVID JOHNSON (Fish & Wildlife, Washington / USA) und DR. JAMES DUNCAN (Umweltbehörde von Manitoba, Kanada), die sich beide bereits für das Symposium 1997 in Winnipeg verdient gemacht hatten. Das Programm umfasste rund 70 Vorträge, davon 4 Hauptvorträge, einen workshop zu Techniken und Methoden von Bestandsaufnahmen und 5 abendliche Film- und Diavorführungen. In einem Ausstellungsraum wurden 44 Poster geboten, außerdem gut sortierte Büchertische und Eulen-Souvenirs. Um die Fülle an Beiträgen auf nur vier Tage konzentrieren zu können, gab es einerseits Doppelsitzungen, andererseits einen zusätzlichen Tag für Lokalprojekte aus Holland. Als Exkursionsziele wurden eine Fahrt zur Insel Schirmonikoog (Rastplatz durchziehender Gänse und Limikolen) und Vogelbeobachtungen an der Nordseeküste angeboten.

Die wissenschaftlichen Vorträge befassten sich mit insgesamt 27 Eulenarten, wobei - entsprechend der nordfriesischen Landschaft - Beiträge über Schleiereule (Tyto alba; 11 Referate, 5 Poster) und Steinkauz (Athene noctua; 10 Referate, 5 Poster) deutlich dominierten. Hinsichtlich ihrer Häufigkeit folgten Themen über Habichtskauz (Strix uralensis; 8 Referate, 1 Poster) und Uhu (Bubo bubo; 7 Referate, 4 Poster). Als besondere Überraschung wurden Fotos vom kaum bekannten Fahlkauz (Strix butleri) aus der Felsenwüste Israels und eine erste Bestandsaufnahme vom Blewittkauz (Athene blewitti) aus Indien vorgestellt, galt dieser kleine Steinkauz-Verwandte ja seit gut 100 Jahren als verschollen bzw. bereits ausgestorben!

Hinsichtlich der Zielrichtung beschäftigte sich ein Großteil der Referate mit dem Beuteangebot (14 Referate, 8 Poster), gefolgt von Gefährdungsanalysen (12 Referate, 5 Poster).

Wesentliche Aussagen von allgemeinem Interesse

  • Unter Federführung von DAVID JOHNSON wird mit dem „Global Owl Project“ die Beschreibung der Eulenarten und ihre systematische Stellung laufend aktualisiert. Als Basis wurden die Dokumente der Erstbeschreibung sämtlicher 206 heute anerkannten Eulenarten auf einer CD zusammengestellt, die - für jedermann zugänglich - den Tagungsunterlagen beigefügt war. Wer jemals versucht hat, die wenigstens 150 Jahre alten Originalbeschreibungen in den Archiven auszuheben, kann den enormen Arbeitsaufwand der Autoren ermessen!
    Mit der Weiterentwicklung der molekular-genetischen Analyse des Erbgutes eröffnen sich laufend neue Möglichkeiten, die stammesgeschichtliche Verwandtschaft der Tierarten zu rekonstruieren. In seinem Referat stellte PROF. MICHAEL WINK (Univ. Heidelberg) die aktuellen Änderungen in der systematischen Zuordnung der Eulen vor: Demnach bleibt die klare Trennlinie zwischen den Schleiereulen (Familie Tytonidae) und den Echten Eulen (Familie Strigidae) zwar aufrecht (bereits 1840 von NITZSCH vorgeschlagen), doch wurden die Eulen wieder, wie schon zu Zeiten LINNÉs (1758), in die Nähe von Greifvögeln und Neuweltgeiern gestellt (Falken ausgenommen). Innerhalb der Echten Eulen wurden mehrere „gute“ Gattungen zu Arten abgestuft, wie Nyctea, Ketupa und Scotopelia, die jetzt alle in die Gattung Bubo gestellt wurden. Als taxonomisch enge Gruppe wurden die Gattungen Aegolius, Athene, Glaucidium und Surnia erkannt. Eine Sonderstellung scheint die Gattung Asio einzunehmen. So verwirrend manche Neuerung auch erscheint, doch ist keine Gliederung endgültig, denn mit jeder neuen Analysemethode kann es neue Erkenntnisse geben.
  • In zahlreichen Beiträgen wurde die Bedeutung solider Kenntnisse zu Höhe und Entwicklung von gefährdeten Eulenbeständen hervorgehoben. Um dabei sowohl große Gebiete als auch lange Zeiträume abzudecken, sind ehrenamtliche Helfer und Amateure unerlässlich. Deshalb wurden mehrere Beispiele vorgestellt, wie über ein Netzwerk von freiwilligen Mitarbeitern selbst flächendeckende Nistkastenkontrollen durchgeführt werden können, wobei eine wissenschaftliche Auswertung der Daten mit Hilfe von standardisierten Meldebögen ermöglicht wird. Das Auffinden von Eulen wird mit dem Abspielen von Eulenstimmen vom Tonband zweifellos erleichtert, auch können damit Laien für Eulenkartierungen eingesetzt werden. Allerdings gibt es mehrere Fehlerquellen zu beachten, weil einerseits Eulenmännchen bei sehr niedriger Siedlungsdichte nur geringe Reaktionsbereitschaft zeigen, und andererseits, weil die Antwort des ersten Männchens eine Kettenreaktion unter den benachbarten Eulen auslösen kann, so dass die Entdeckungswahrscheinlichkeit immer besser wird, je länger eine Beobachtungsroute begangen wird.
  • Zur Erfassung des Bestandestrends sind regelmäßige Wiederholungsaufnahmen notwendig. Ein solches Monitoring kann durch unterschiedliche Techniken erleichtert werden (z. B. systematisches Angebot an Nisthilfen) und bei ganz unterschiedlichen Situationen ansetzen. An Beispielen wurde ein Netzwerk an Nistkästen für Schleiereulen in Schottland vorgestellt (wobei diese Eule hier in schütteren Wäldern brütet), vergleichbar einem System mit 500 Nistkästen für Steinkäuze in Belgien oder mit 6000 Nistkästen für Sperlingskäuze in Finnland, wo ein landesweites Nistkasten-System auch zur Brutbeobachtung von Rauhfußkauz, Habichtskauz und Sperbereule eingerichtet wurde. Zur Kontrolle der Sumpfohreulen-Dichte in Schottland wurde ein System an Fixpunkten festgelegt, wo an vier Frühjahrsterminen Balzbeobachtungen registriert werden. Ein anderer Ansatz bot sich in Serbien, wo Waldohreulen jährlich in großer Zahl in Siedlungsgebieten überwintern. An den bequem zu kontrollierenden Schlafplätzen sammeln sich bis zu 140 Individuen. Da man von Dichteschwankungen auf einzelnen Plätzen nicht auf allgemeine Bestandestrends schließen kann, wurden möglichst große Gebiete mit insgesamt über 3000 überwinternden Eulen kontrolliert.
  • Da die Nistkastenkontrollen in Finnland bereits seit 25 Jahren durchgeführt werden, lassen sich Bestandestrends für alle höhlenbrütenden Eulenarten ablesen: Demnach steigt der Sperlingskauzbestand kontinuierlich an, möglicherweise verstärkt durch eine Invasion. Umgekehrt sinkt die Dichte beim Raufußkauz - nach Spitzenwerten in den 1980er Jahren - unaufhaltsam ab. Der Vergleich von Reproduktionserfolg und Bestandsentwicklung hat gezeigt, dass die Überlebenschancen für Jungeulen nach Mangeljahren, wenn die Mäusedichte wieder ansteigt, wesentlich besser sind als nach Spitzenjahren, wenn hohe Beutedichten zu großen Gelegen und vielen Jungen pro Brutplatz führen. Denn mit dem jähen Zusammenbruch der Mäusepopulation sterben zahlreiche Jungvögel, speziell wenn die Beutedichte zur Zeit des Selbständigwerdens im Spätsommer absinkt. - Am Beispiel der Schneeeulen Sibiriens wurden das Alter der Weibchen und der Zeitpunkt der Schneeschmelze als weitere Kriterien für den jährlichen Fortpflanzungserfolg ausgemacht: Da große Gelege nur von ausgefärbten Weibchen (etwa 3-4 jährig) und bei frühen Bruten zu Stande kommen, gibt es nach strengen Wintern mit später Schneeschmelze nur wenige erfolgreiche Bruten.
  • Mehrere Referate befassten sich mit dem Beuteangebot für Eulen. Auf die großen Schwankungen der Wühlmausdichte in Finnland, die in etwa 3-jährigem Zyklus ablaufen, reagieren nach PROF. ERKKI KORPIMÄKI Raufußkäuze einerseits mit einer engen Anpassung der Jungenzahlen (im Mittel 3,5 Eier pro Gelege in Mangeljahren, 6,5 Eier in Spitzenjahren), andererseits mit Mehrfachbruten. Einzelne Weibchen wandern während der Brutsaison über Distanzen von bis zu 600km, um ein Zweitgelege in anderen Populationen zu produzieren. Die über 30-jährige Beobachtung der Überlebensrate weist auf die Bedeutung naturnaher Altbestände hin, da Männchen, die im Brutgebiet zu überwintern versuchen, nur hier ausreichenden Winterschutz und geeignete Alternativbeute bei hoher Schneelage vorfinden; beides fehlt in jungen, gleichförmigen Kiefernforsten, wie sie in Finnland heute großflächig gegeben sind!
  • In seinem Hauptreferat ging DR. IAIN TAYLOR der Frage nach, ob Schleiereulen in der Lage sind, die bestmögliche Eignung von Beutetieren zu erkennen (wie kurze Suchzeit, gute Entdeckungs-Wahrscheinlichkeit, leichte Erreichbarkeit, hohes Beutegewicht, geringes Verletzungsrisiko), und entsprechende Objekte selektiv zu erbeuten. Das Ergebnis komplexer Feldforschung war, dass Schleiereulen die Feldmaus-Männchen überproportional häufig erbeuten. Diese scheinbare „Bevorzugung“ der Männchen gilt sogar bei geringer Siedlungsdichte der Mäuse, wo es zweckmäßiger wäre, auch weibliche Mäuse zu fangen, aber eben nur solange, wie die Männchen aggressiv, hektisch und lautstark ihre Reviere verteidigen. Außerhalb der Fortpflanzungszeit, wenn die Mäuse eher unauffällig bleiben, ist das Erbeutungs-Risiko für die großen Männchen und die kleineren Weibchen gleich groß. Im Winter, speziell bei Schneelage, sind die Mäuse besonders schwierig zu entdecken.
  • Zum Thema Artenschutz stellte das Hauptreferat von DR. GEOFF HOLROYD über die Bestandssicherung von Kanincheneulen im nördlichen Kanada einen wichtigen Diskussionsbeitrag. Hier wurde seit Jahren ein anhaltender Bestandsrückgang beobachtet, trotz Sicherung der Brutgebiete und künstlichem Futterangebot. Die Ursache für die hohen Verluste durch Mortalität und Abwanderung konnten weder über Beringung noch über Telemetrie erkannt werden. Erst eine Analyse der Federn von Fänglingen aus unterschiedlichsten Überwinterungsgebieten klärte die komplexe Sachlage auf: Demnach ziehen Kanincheneulen im Herbst aus ihren nördlichen Brutgebieten bis Zentral-Mexiko. Dabei überwinden die - scheinbar ungewandten - Eulen Entfernungen bis über 1000km, und queren sogar die hohen Gebirgszüge der Rocky Mountains. Infolge massiver Intensivierung der Landwirtschaft in Mittelamerika gingen die Überwinterungsgebiete in rascher Folge verloren. Außerdem wurden die für die Eulen wichtigen Erdbauten der Präriehunde gezielt zerstört. In Summe zeigte sich, dass die Kanincheneulen Nordamerikas nur in einem breit verzweigten Netzwerk einer Meta-Population überleben können, wobei überschüssige Jungtiere in die weniger produktiven Areale im Norden einwandern. Die Populationen Kanadas sind für sich genommen nicht lebensfähig bzw. auf steten Zuzug aus dem Süden angewiesen. Noch so intensiver Schutz vor Ort kann die Eulenbestände nicht sichern, vielmehr muss der Artenschutz alle Einzelvorkommen berücksichtigen, vor allem die günstigeren Brutgebiete in südlichen Klimaten.
  • Mehrere Beiträge befassten sich mit dem Management zur Bestandssicherung gefährdeter Eulenarten. Beispielhaft sei ein Testverfahren für Schleiereulen-Nistkästen herausgegriffen, bei dem auch vom Vogelschutz empfohlene Modelle schlecht wegkamen, wenn sich z. B. eine erhöhte Mortalität von Jungvögeln durch Absturz am Flugloch herausstellte. - Bisher wenig beachtet sind auch Ausfälle bei Nestlingen durch Infektionskrankheiten: So wurde bei Habichtskäuzen ein bakterieller Blutparasit identifiziert, der über Stechmücken übertragen wird, und bei schlecht ernährten Eulen zur Minderung von Bruterfolg und Überlebenschance führen kann. - In Einzelfällen kann die Nachzucht sehr seltener bzw. gefährdeter Eulenarten in Gefangenschaft zum Arterhalt beitragen. Dazu wurden Beispiele von den Philippinen vorgestellt, die vom britischen „World Owl Trust“ mit Erfolg initiiert worden waren. Nachzuchten können auch eine wichtige Basis für Wiederansiedlungen stellen, wie im Beispiel von Uhu oder Habichtskauz in Deutschland. Ohne Zweifel bleibt aber die wichtigste Maßnahme zum Artenschutz eine intensive Aufklärungsarbeit in der Lokalbevölkerung, großflächige Sicherung und Optimierung der Lebensräume und die langfristige Beobachtung von Bestandsentwicklung und Fortpflanzungsleistung der Eulen in den einzelnen Verbreitungsgebieten. Dazu bedarf es einer engen Kooperation von begeisterten Beringern, Nistkastenbetreuern, Feldforschern und Wissenschaftlern.

Deutscher Vortragsnachmittag beim World Owl Congress in Groningen

von Ernst Kniprath

Die AG Eulen hatte sich auf Einladung der Organisatoren in den Niederlanden dazu bereit erklärt, ihre Jahrestagung nach Groningen zu verlegen und sich dort auch am wissenschaftlichen Programm zu beteiligen. Diese Beteiligung sollte im Gegensatz zum übrigen Programm auf deutsch stattfinden, damit es unseren Mitgliedern etwas leichter gemacht würde. Für den dafür vorgesehenen Freitag Nachmittag wurden dann 5 Vorträge angemeldet:

Block B: Langjährige Untersuchungen an der Waldohreule Asio otus auf einer Kontrollfläche in Brandenburg

  • KNIPRATH E: Schleiereule Tyto alba: Mehrfachbruten in Südniedersachsen
  • SCHERZINGER W: Der Davidskauz Strix uralensis davidi aus den Gebirgswäldern Chinas/Tibets - nicht länger ein „Phantom“
  • STANGE C: Bestandsentwicklung und Nachwuchsrate des Steinkauzes Athene noctua in Südbaden
  • WIESNER J: Zur Ektoparasitenfauna des Sperlingskauzes Glaucidium passerinum in Thüringen

Die ausführliche Fassung von dreien dieser Vorträge ist bereits in diesem Heft abgedruckt, die beiden restlichen sollen später folgen.

Quelle: 2008 Eulen-Rundblick 58: 74-77

ag_eulen/tagungen/2007_groningen.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/10 00:53 (Externe Bearbeitung)