Portrait

Stefan Brücher

Stefan Brücher (Foto: Sonia Marie Weinberger)


Im Jahr 2018 bekam Stefan Brücher in der Eifel „nur“ 119 nestjunge Uhus in die Hand. 2015 waren es 327. Brücher beringt den jährlichen Uhunachwuchs in der gesamten Eifel. In den Monaten April und Mai ist Brücher im Aus­nahmezustand, „denn dann sollte an jeden Eifel-Uhu ein Ring“, sagt der 55jährige. Für dieses Unterfangen ist Brücher kein Weg zu weit, kein Fels zu schroff und kein Grat zu schmal. Allein zwischen 2007 und 2018 sind es bei mehr als tausend Nestbesuchen gut 2.000 beringte Uhus. Nirgends in Deutschland sind Uhus so gut er­forscht und geschützt wie in der Eifel. Brücher, mit Uhus vertraut wie kein zweiter, hat daran maßgeblichen An­teil. Die Beringungstätigkeit schließt die Sorge um jedes einzelne Brutpaar und jeden einzelnen Brutplatz ein. Der Uhus in der Eifel wegen ist er jährlich 12.000 Kilometer unterwegs - in ei­nem Geländewagen mit dem Kenn­zeichen „EU LE“, das sich zur Hälfte Brüchers Domizil im Kreis Euskir­chen verdankt.

Wilhelm Bergerhausen (1950­-2006) ist es, der den 16jährigen Ste­fan Brücher entdeckt - und zwar in einem Fernsehbeitrag des WDR. Das ist im Jahr 1979. Die Aufnahmen zei­gen einen Jungen, der sich aus gro­ßer Höhe aus einem Baum abseilt. Aus einer Baumkrone, in der halbstarke Schwarzmilane aufwachsen, die der Junge soeben fachkundig beringt hat. Früh begeistert er sich für die Vogel­kunde. Dabei spielt der um zehn Jahre ältere Bruder Helmut Brücher eine Rolle, der Ende der 1960er Jahre Klein­vögel beringt, sich mit Vogelschutz be­fasst und im Elternhaus bei Bonn eine Pflegestation für Wildvögel einrich­tet. Der junge Stefan Brücher hilft, kaum dass er zur Schule geht, bei der Versorgung und Aufzucht der Vögel, die den Brüchers von überallher ge­bracht werden. Mit 12 Jahren sitzt der Junge erstmals in schwindelerregender Höhe am Rande eines Nestes und hilft beim Beringen junger Mäusebussarde. Mit 14 Jahren darf er Greifvögel und Eulen mit behördlicher Erlaubnis end­lich selbst beringen. Jetzt sind die Füße groß genug für die Steigeisen.

Ende der 1970er Jahre brüten in der Nordeifel erstmals wieder Uhus. Wilhelm Bergerhausen, der damals die Aktion zur Wiedereinbürgerung des Uhus (AzWU) leitet, fällt die Kletterei schwer. Es ist ein Leichtes für ihn, Brücher fürs Klettern und Uhuberingen zu gewinnen. 1980 be­ringt er erstmals einen Uhu; mehr als 5.000 werden folgen. Bergerhausen und Brücher arbeiten auf kongenia­le Weise zusammen: Bergerhausen aus dem Büro und vom Boden aus und Brücher am Fels. Die beiden verste­hen und ergänzen sich. Die Zahl der Uhubruten in der Eifel steigt bestän­dig; bereits 1986 brüten dort mehr als 40 Paare erfolgreich. Als Stefan Brü­cher bald darauf den Zivildienst an­treten soll, steht seine Beringungstä­tigkeit mindestens für eine Brutzeit in­frage. Der um Lösungen nie verlegene Wilhelm Bergerhausen verschafft der AzWU kurzerhand die Anerken­nung als Zivildienststelle. So eröff­net Stefan Brücher 1985 die Rei­he der Zivildienstleistenden im Dienst der AzWU. Ab Mitte der 1990er Jahre bewerkstelligt Brücher das Uhumo­nitoring in der Eifel in enger Abspra­che mit Bergerhausen praktisch ganz allein. Dieses Monitoring umfasst seit 40 Jahren alle seitdem bekanntgewor­denen Brutvorkommen von Uhus in der Eifel. Brücher hat bis heute kei­ne einzige Brutsaison ausgelassen und so einen gewaltig großen Pool biomet­rischer, brutphänologischer und popu­lationsökologischer Daten zusammen­getragen, der Stoff liefert für die For­schung auf Jahre hin. Informationen, die 2016 in das 28seitige Uhukapitel im 3. Band der Avifauna von Rhein­land-Pfalz einfließen, das Brücher mitverfasst hat.

Als Bergerhausen 1990 die Ge­sellschaft zur Erhaltung der Eulen e. V. (EGE) ins Leben ruft, ist Stefan Brücher einer der Mitbegründer und ab 2004 der Vorsitzende. 2006 zeich­nen die Deutsche Bundesstiftung Um­welt (DBU) und das ZDF Brücher mit dem Preis „Mensch und Umwelt“ aus. Im selben Jahr stirbt überra­schend Wilhelm Bergerhausen, der die EGE seit 1990 als Geschäftsfüh­rer geleitet hatte. Nun kommt es vor allem auf den Vorsitzenden Stefan Brücher an, die EGE organisato­risch und finanziell am Leben zu er­halten und bruchlos weiterzuführen. Es sind Herausforderungen, die Brü­cher geräuschlos bewältigt, und, man kann den Eindruck gewinnen, beina­he mühelos. Alles dies nicht anstel­le, sondern neben seinen praktischen Tätigkeiten in der EGE, die über das Uhumonitoring hinausgehen und Schutzmaßnahmen für Schleiereule und Steinkauz einschließen.

Brücher hat früh einen Blick für ge­fährliche Mittelspannungsmasten, lan­ge bevor sich der Gesetzgeber 2002 zu einem Verbot neuer und zu einer Um­rüstungspflicht alter gefährlicher Mas­ten durchringt. Brücher gehört zu den wenigen Fachleuten des Vogel­schutzes, die einen für Vögel gefähr­lichen von einem ungefährlichen Mast zu unterscheiden wissen. In Stichpro­ben aus dem Versorgungsgebiet ver­schiedener Netzbetreiber in mehreren Bundesländern deckt Brücher nach Ablauf der den Unternehmen gesetz­lich eingeräumten zehnjährigen Um­rüstungsfrist massive Versäumnisse auf. Jeder zweite alte Mast erweist sich nach Ablauf der Frist als vogelgefähr­lich. Brücher findet zahlreiche Mas­ten, die verbotswidrig errichtet wor­den sind. Brüchers Recherchen und beharrlicher Einsatz führen dazu, dass die Netzbetreiber unter Druck gera­ten und die Masten endlich umrüsten - wenngleich spät, unvollständig, oft dilettantisch und bis heute nicht flä­chendeckend. Zwar ist Brücher ein gefürchteter aber trotz aller Auseinan­dersetzungen, aufgrund seiner Sach­kunde und sachlichen Vorgehenswei­se, geachteter Fachmann für die Netz­betreiber. Auch deshalb beruft ihn das Bundesumweltministerium in die Ar­beitsgruppe aus Vertretern von Vogel­schutz und Netzbetreibern, die sich 2011 in der VDE-Anwendungsregel auf Anforderungen des Vogelschutzes an Mittelspannungsfreileitungen ver­ständigt. Brücher bleibt an der Sa­che dran mit unverzichtbaren Vor-Ort- Kontrollen und einem von der EGE 2018 in Auftrag gegebenen Rechtsgut­achten, das die Reichweite des gesetz­lichen Vogelschutzes an Mittelspan­nungsmasten untermauert und die Re­lativierungsbestrebungen der Branche als haltlos widerlegt.

Dass Uhus kaum irgendwo so erfolg­reich brüten wie in Steinbrüchen mit Abbaubetrieb, liegt gewiss auch dar­an, dass hier Uhus störende Freizeit­nutzungen wie Geocaching, Kletter­sport, Fossiliensammeln, Motocross­Fahren und am Maifeiertag, Christi Himmelfahrt und Pfingsten Trinkge­lage ausgeschlossen sind. In der Eifel kommt aber die Zusammenarbeit hin­zu, die Brücher mit den Abbauunter­nehmen pflegt. Einige von ihnen sind stolz auf „ihre“ Uhus, nehmen ger­ne den Rat des Uhu-Fachmanns an und Rücksicht beim Abbaugesche­hen. Dank Brüchers Einsatz haben Firmenchefs manches Vorurteil gegen „den“ Naturschutz überwunden.

2007 startet das SWR Fernsehen mit Stefan Brücher ein Webcam-Pro­jekt der besonderen Art: Aus den Fel­sen des Ahrtals wird das Geschehen am Brutplatz eines Uhupaares über­tragen. Mehr als fünf Millionen Zu­schauer wurden bis heute gezählt. Brücher gelingt es, die Brigitte und Dr. Konstanze Wegener Stif­tung für die Anschlussfinanzierung zu gewinnen. Die übertragenen Bilder haben das Bild vom Uhu zwar nicht auf den Kopf gestellt, aber doch eine Vielzahl neuer verhaltensbiologischer Erkenntnisse und nebenbei entschei­dende Informationen für den Uhu­schutz erbracht. Via Webcam konn­te Brücher die fatalen Auswirkun­gen von Hubschraubereinsätzen im Weinbau, nämlich das störungsbe­dingte tagelange Fortbleiben der Alt­vögel von den Jungen, belegen und schließlich Absprachen mit den Pilo­ten erreichen, um solche Folgen ab­zuwenden. Für Uhus sind es lebens­rettende Vereinbarungen, die Brü­cher mit den Einsatzkräften jährlich nicht nur für diesen Standort, sondern für alle ihm bekannten Brutplätze an Ahr und Mosel trifft. Es ist dies ei­gentlich eine Aufgabe der rheinland­pfälzischen Naturschutzbehörden, die das Schicksal der Uhus aber offenbar kalt lässt und die der EGE nicht ein­mal den Aufwand ersetzen.

Dass der Naturschutz durchaus er­folgreich sein kann, zeigt Brüchers Engagement auch in den Felsen des Rurtals, die Brücher seit der dort ersten Uhubrut Ende der 1970er Jah­re mehrfach jährlich kontrolliert. Wa­ren erfolgreiche Uhubruten im Euro­päischen Vogelschutzgebiet „Bunt­sandsteinfelsen im Rurtal“ bis Mitte der 1990er Jahre die Ausnahme, sind sie heute die Regel. Endlich sind die Uhus in diesem Gebiet nicht mehr auf Zuzug angewiesen und lässt sich der Einfluss des Klettersports auf den Bruterfolg von Uhus im Detail bele­gen. Die Kletterhaken im Fels, die der Alpenverein als kulturelles Erbe hatte ausgeben wollen, hat Brücher am Seil hängend eigenhändig mit der Flex beseitigt.

Stefan Brücher ist unprätenti­ös und wie man heute sagt „authen­tisch“. Das sind nicht die schlechtes­ten Eigenschaften, um für die Sache des Naturschutzes zu überzeugen - Steinbruchbetreiber und Schulklas­sen, Bauingenieure und Bürgermeis­ter, Fernsehanstalten und Journalisten und Menschen, die über Eulen zum Naturschutz finden. Was Brücher mehr als viele andere Personen im Na­turschutz auszeichnet, ist der Sinn für das praktisch Vernünftige. Brücher verliert sich nicht im Ungefähren oder Utopischen. Ein „man müsste, man sollte oder man könnte“ ist seine Sache nicht, sondern das konkret Er­reichbare. Dieses Realitätssinnes we­gen ist Brücher der gefragte Partner von Rohstoffunternehmen, Windener­giewirtschaft, Deutscher Bahn, Ein­richtungen des Tourismus, Behörden, Kommunen und Gutachterbüros und - so scheint es fast - ganz nebenbei: der Vorsitzende der Gesellschaft zur Er­haltung der Eulen e.V..

Wilhelm Breuer, 2019 im Eulen-Rundblick 69: 111

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